Hallo, Werner.
Für Dich ist es ok
Hätte ich vor zehn Jahren unsere Anwendung vollständig neu entwickelt, mit einer damals topaktuellen Entwicklungsumgebung, mit einer zukunftsträchtigen Technologie, mit einer großen Community und hunderttausenden Anwendungen weltweit, dann würden wir dieses Gespräch jetzt nicht führen; wir würden uns wahrscheinlich nicht einmal kennen. Aber ich habe vor 25 (!) Jahren vor der Entscheidung gestanden, entweder für zwei, drei Jahre komplett vom Markt zu gehen, um den damals schon 15 Jahre alten Code durch neuen zu ersetzen, oder auf dieses krasse Tool zuzugreifen, das es mir ermöglichen würde, diesen Code weiter zu nutzen und aufs nächste Level zu heben. Ich wusste damals schon, dass der Partner, der dieses Tool herstellte, nicht Microsoft, SAP oder Oracle war, sondern eine coole kleine Firma aus Frankfurt. Deren Hauptziel - eigentlich deren
einziges Ziel - darin bestand, Leuten wie mir eine Lösung für die Situation anzubieten, und dieses Versprechen haben sie auch eingehalten. Es gibt uns immer noch, wir sind sehr gut reputiert, und wir nehmen regelmäßig unserem Hauptkonkurrenten Kunden weg, der zwanzig Mal so groß ist wie wir. Aber wir haben auch weitergelernt und uns mit anderen Technologien befasst; wir nutzen Zeug wie HTML 5 schon seit Jahren, wir haben mit Phonegap und Cordova und einigen Vorgängern geschafft und sind inzwischen bei React, und was auch immer wir uns wünschen, das lässt sich umsetzen. Nicht immer im Monolithen, aber das ist auch nicht nötig. Was wir aber auch immer noch mit uns herumschleppen, das ist das dateibasierte Datenbanksystem, entweder nativ oder mit der ollen Oma ADS als Babysitter, aus den gleichen Gründen wie damals: Wir müssten einen völlig neuen, vollständigen Branch aufmachen, um die Anwendung einerseits ständig den Anforderungen anzupassen und andererseits parallel datenbankmäßig zu migrieren. Aber auch hier hat Alaska ein Versprechen gemacht und weitgehend eingehalten. Es ist fast das gleiche Versprechen wie damals: Du kommst an aktuelle Technologie und an aktuelle Datenhaltungskonzepte, aber Du kannst Deinen Code einfach weiternutzen, jedenfalls zu Fensterkreuz mal Pi 98 Prozent.
Das Problem ist, dass die Basis für dieses Versprechen eine sehr viel kleinere als damals ist. In den Neunzigern gab es tausende von Clipper-Entwicklern, die nicht weiterwussten, und jetzt sind es vielleicht noch ein paar hundert, die ihre Xbase++-Anwendungen in die SQL-Welt migrieren müssen, um nicht vorzeitig vom Markt zu verschwinden. Ich verstehe, dass angesichts des großen Wertes, den dieser Ansatz für Leute haben kann, die eben nicht die Zeit und die Kapazitäten haben, mit anderen Tools und parallel und schrittweise Millionen Zeilen Code von ISAM nach SQL zu bringen, der Gedanke gereift ist, für diese abermalige Rettung auch eine entsprechende Vergütung abzurufen. Nein, "ok" ist das nicht, wenn es darum geht, wie und wann das kommuniziert wurde. Ich kann den Ärger darüber gut verstehen und nachvollziehen. Aber ich habe mindestens ebenso viel Verständnis dafür, dass ein Unternehmen, das auch ökonomische Aspekte zu berücksichtigen hat - nicht zuletzt im Hinblick auf die eigene Zukunft -, eine Einnahme zu realisieren versucht, wo die Investition wahrscheinlich ganz schön aus dem Ruder gelaufen (und noch nicht beendet) ist.
Wir haben in den vergangenen Jahren auch Preise angehoben, obwohl einige Verträge das nicht vorgesehen hatten, und darauf gehofft, die Kunden würden nicht ihr außerordentliches Kündigungsrecht nutzen, was sie tatsächlich in fast allen Fällen auch nicht getan haben, weil wir eine fantastische Leistung für dieses Geld erbringen und der Wechsel woanders hin noch viel, viel teurer gewesen wäre. Ich muss das, glaube ich, keinem hier erklären, warum man so etwas macht und wie die Abwägungen auf dem Weg zu solchen Entscheidungen aussehen. Das ist manchmal einfach alternativlos; langfristig wäre der Verlust für alle Beteiligten viel, viel größer.
Also. Das ist keine Frage von okay oder nicht okay, so einfach ist das nicht. Es ist auch keine Frage von Leistung und Gegenleistung.